Es sind vier Künstler aus Gugging, die uns an ihre persönlichen fantastischen Orte entführen – akribisch, romantisch, gevift, multimedial, detailreich, bunt, mystisch, gekonnt und mitreißend. Und stets mit Leidenschaft: Die Ausstellung „fantastische orte.! walla | strobl | vondal | fink.
Inhaltsverzeichnis
Die aktuelle Ausstellung: „fantastische orte.!“
Ich weiß nicht warum, aber allein die Anfahrt vom Weinviertel rüber nach Gugging – durch Klosterneuburg und Kierling hindurch hinauf gen Lourdes Grotte – erdet und beruhigt mich erst und lässt dann die Vorfreude steigen: Auf die aktuelle Ausstellung von vier Gugginger Künstlern, die uns mit nehmen zu ihren fantastischen Orten in ihren Werken – ob zu Harry Potter nach Hogwarts, nach Italien und Hawaii, zu verlassenen Wirtshäusern im obgenannten Weinviertel oder in ihr geliebtes Klosterneuburg.
Warum nach Gugging fahren?
Weil man dort – wann man will – eintauchen kann in eine andere Welt, die einen mitzieht wie ein Sog – in andere Gedankenwelten. So fantastisch sie vielleicht sein mögen oder auch nicht, sie erden auch und beeindrucken, sie ziehen mich magisch an und lassen mich auch teils grübelnd zurück. Verstehen muss man nichts, schauen und denken und traumwandeln kann man immer. Was ist real, was ist fiktiv? Egal.
Meine Meinung.
Die Künstler dieser Ausstellung
Unter ihnen ist der Weinviertler Leopold Strobl (geb. 1960 in Mistelbach). Er ist der erste Gugginger Künstler, der es mit seinen Werken auf die Biennale in Venedig geschafft hat. Seine fantastischen Orte schafft er, indem er Zeitungsfotografien mit schwarz und grün übermalt und ihnen damit einen mystischen Schimmer gibt. Auch Fotos der Weinviertler Kellergassen überarbeitet er so, verschafft ihnen damit ganz eigenen Lichtstimmungen – und macht sie damit direkt geheimnisvoll zu ganz neuen Landschaften. Dabei bleibt er immer kleinformatig.
Am meisten beeindruckt haben mich die Bleistiftzeichnungen von Leonhard Fink (geb. 1982 in Wien) – bei ihm kann von kleinformatig keine Rede sein: Sein Vater war Geograf und den Hang zum akkuraten, akribischen Aufzeichnen erkennt man auf seinen Werken sofort. Seine großflächigen Landkarten – ob von Hogwarts, Wien, St. Pölten, Österreich oder dem Tiergarten Schönbrunn – sind durchzogen von Netzen an Verkehrswegen, Viadukten und Flüssen und unwillkürlich bleibt man davor viel länger stehen, um darauf Bekanntes zu suchen und zu finden. Bei ihm nimmt es auch nicht Wunder, wenn die U5 längst fertig ist.
August Walla (1936-2001) ist der bekannteste der Gugginger Künstler, von ihm werden bislang noch nicht gezeigte Objekte präsentiert. Mutter und Großmutter prägten seine Kindheit und später auch seine Werke, die in seiner Klosterneuburger Umgebung immer wieder auf Widerstand und Unverständnis stießen. Im Haus der Künstler in Gugging schließlich – wo er sogar mit seiner Mutter wohnen konnte – fand er dann auch künstlerische Heimat und Akzeptanz, deswegen: „Klosterneuburg liebe ich“ – so schreibt er auf einem seiner Bilder.
Seine Farbe war das ROT – das berühmte „Walla-Rot“, das auch seine Mütze hatte. Sein besonderes Verhältnis zur Donau spiegelt sich auch in einem Film über ihn von Heinz Bütler aus 1985 wider – ein Foto daraus fungiert heute als Ausstellungsplakat. Er ist der Mann der großen Formate und der vielen Farben – ganz anders als etwa Strobl. Er spielt auch mit Symbolen wie dem umgedrehten Hakenkreuz und Hammer und Sichel – in diesem Fall Symbole für Mann und Frau, die sich durch seine Werke und besonders die Objekte zieht. Ganz besonders wirkt in der Ausstellung das nachgebaute Zimmer mit originalen Möbeln auf mich.
Für Karl Vondal (1953 – Mai 2024) sind fantastische Orte immer auch mit Erotik verbunden, die sich durch all seine Werke zieht. der im Mai 2024 überraschend verstorbene Art Brut Künstler wirkt in der Ausstellung auf einer Vielzahl von Fotos, auf denen er „in action“ zu sehen ist – wie er leibte und lebte.
Seine Welt ist die des schönen Lebens, der Kulinarik, der Palmen, Inseln, üppigen Frauen, Schiffe und Flugzeuge – großformatige Collagen, die mit schwachen Farben auskommen. Das Objekt mit den Hochhäusern und dem Schiff (nicht fertiggestellt) wurde eigens für die Ausstellung restauriert.
Fakten zur Ausstellung „fantastische orte.!“
- Infos zur Ausstellung im Museum Gugging
- 12.9.2024 – 16.3.2025, Di-So/Feiertag 10 – 17 Uhr
- Für NÖ-Card Besitzer mehrmaliger gratis Eintritt
- Zugang zum Museum und den Ausstellungsräumen barrierefrei zugänglich (Lift: Bitte Mitarbeiter fragen)
- Parkplätze vorhanden
- Café und Shop vor Ort
- Günstige Unterkünfte rund um Klosterneuburg und Gugging
Insta-Video zum Rundgang
Wer hängt im Museum Gugging?
PatientInnen der Psychiatrie, die Kunst machen, ohne eine offizielle Ausbildung dafür genossen zu haben: Das sind die Art Brut KünstlerInnen, deren Werke in Museum & Galerie Gugging bei Klosterneuburg in Niederösterreich ausgestellt werden.
„Gugging“ – als Kinder kannten wir den warnenden Ausspruch: „…sonst kommst nach Gugging“, wenn man mal wieder (vermeintlich) verhaltensauffällig unterwegs war. Als Ausflugsziele sind mir die Lourdes-Grotte Maria Gugging und das Ausflugsgasthof „Waldhof“ mit dem schönen Intérieur aus den 1920ern ein Begriff. Das Museum Gugging habe ich (endlich!) jetzt aber auch besucht: Anlass war die Eröffnung einer Sonderausstellung mit dem Titel „visualized dreams“. Werke einer Künstlerin aus der Schweiz und zweier Künstler aus NÖ werden zwischen 7. Oktober 2021 und März 2022 hier gefeatured, zusätzlich zur Dauerausstellung mit Werken sogar mir bekannter Namen wie Tschirtner und Hauser.
Hier hängt kein Klimt, kein Schiele und auch keine Xenia Hausner oder Maria Lassnig. Hier werden halbjährlich neue Ausstellungen kuratiert mit Werken von KünstlerInnen, die alle eines gemein haben: Sie sind oder waren PatientInnen der Psychiatrie oder haben psychische Beeinträchtigungen – sie sind aber ausschließlich aufgrund Ihrer künstlerischen Begabung hier vertreten. In den Sonderausstellungen hingegen schlägt man regelmäßig die künstlerische Brücke von Gugging in die Welt hinaus: Ob mit naiver Kunst oder auch tibetischen Tankas – Gugging war und ist dafür eine optimale Location.
Die Gugginger Künstler (manchmal auch die eine oder andere Künstlerin darunter) haben sich weltweit einen Namen gemacht und auch KünstlerkollegInnen wie André Heller oder Ernst Jandl und Friderike Mayröcker haben sich mit deren Art Brut Werken auseinandergesetzt. Im Juni 2021 feierte das Museum Gugging seinen 15. Geburtstag: Museum, Galerie, Atelier, Event-Location, Haus der Künstler und ein Café – das alles ist Gugging heute.
Von der „Irrenanstalt“ zum internationalen Art Brut Kunstcenter
Vor 100 Jahren wären wir hier direkt am Areal einer dezidierten „Landes-Irrenanstalt“ gestanden. Erst 1925 wurde es zur etwas wohlklingenderen „Heil- und Pflegeanstalt“. Während des NS Regimes war Gugging Teil einer verbrecherischen und menschenverachtenden Tötungsmaschinerie an psychisch kranken Menschen:
Am Campus des hiesigen Institute of Science and Technology Austria (IST Austria) erinnert ein Memorial daran, dass Gugging ein Zentrum medizinischer Verbrechen zur Zeit des Nationalsozialismus war (eine entsprechende Studie, die vom IST in Auftrag gegeben wurde, belegt dies).
1967 wurde Gugging zum NÖ LKH für Psychiatrie und Neurologie. Da hatte der hiesige Psychiater Leo Navratil schon zehn Jahre lang mit seinen Patienten das Zeichnen als Therapie ausprobiert. In den 1960er Jahren hatten die ersten Künstler aus Gugging Erfolge als „Art Brut“ Künstler.
Aber erst 1981 wurde der inzwischen bekannte Pavillon 11 als Zentrum für „Kunst-Psychotherapie“ zur Verfügung gestellt.
Zwei Jahre später wurde der Arzt und Künstler Johann Feilacher Navratils Assistent: Er führt unsere Pressegruppe durch die Sonderausstellung „visualized dreams“ – mein erster Besuch im Museum Gugging. Ab 1985 firmieren die Künstler der Männer-Psychiatrie in Gugging nicht mehr unter Patienten, der „Patientenstatus“ wird aufgehoben und das „Zentrum für Kunst- und Psychotherapie“ zum Haus der Künstler. Der Mensch und Künstler steht im Mittelpunkt.
Der Pavillon 11 der Männer-Psychiatrie Gugging brachte Künstler wie Johann Hauser, August Walla, Oswald Tschirtner hervor – sie sind weltbekannt und ihre Werke hängen nicht nur in Wien in den bedeutendsten Kunsthäusern wie der Albertina und dem MUMOK, sondern auch in New York, Philadelphia und Tokyo. Einen guten ersten Überblick (für Anfängerinnen wie mich) über das Museum Gugging und seine KünstlerInnen geben die Videos im Virtuellen Museum auf Youtube. 2007 kam dann das AUS für die Patienten in Gugging – sie wurden nach Tulln und Baden verlegt, Platz für die IST Eliteuni wurde geschaffen, das Museum Gugging bestand bereits seit 2006, die Galerie Gugging seit 1994.
Workshops für Familien gibt es hier genau so wie Kreativwerkstätten, Führungen für Schulklassen oder Lesungen von Josefstädter SchauspielerInnen. Die „Villa“ wird zudem für private Events vermietet.
Rückblick 2020/2021: Sonderausstellung „visualized dreams“
Kurator und künstlerischer Leiter Johann Feilacher, seines Zeichens ehemaliger Assistent und Nachfolger jenes Psychiaters der Gugginger Nervenheilanstalt, der Kunst zur Therapie machte, führt uns durch die neue Sonderaustellung im Museum Gugging. Die Schweizer Künstlerin Ida Buchmann (1911-2001), die Niederösterreicher Johann Fischer (1919-2008) und Johann Korec (1937-2008) haben in ihren Werken jeweils Bilder und Texte kombiniert und so ihre Träume und Fantasien visualisiert – auf vollkommen unterschiedliche Art und Weise. Eine coole Kombination und sehr bildgewaltig!
Die expressive Künstlerin Ida Buchmann pflegte zuweilen, so Kurator Feilacher bei der Führung, ihre Werke unter Absingen von Operettenmelodien zu erschaffen. Sie war eine kleingewachsene Frau, die mit Verve riesige Leinwände bewältigte – und auch beim Präsentieren ihrer Kunstwerke trällerte sie zuweilen gerne vor sich hin. Feilacher hat sie persönlich kennengelernt, sie malte gerne plakativ groß und bunt.
Johann Fischer aus der Gegend am Wagram war ein ruhiger, fast stoischer Patient aus Pavillon 2, erzählt Feilacher weiter. Da im neu erschaffenen 11er Pavillon noch Platz für malende, zukünftige Patienten war, kam er kurzerhand zu der Künstlerriege hinzu, ohne sich jemals zuvor in dieser Richtung ausprobiert zu haben. Er war später der „Sir“ unter den Künstlern – mit ihm war man per Sie, ganz ohne Frage, erzählt Nina Katschnig, Leiterin der Galerie Gugging. Seine Werke beschreiben oft lehrbuchartig mit viel Text und genauen Zeichnungen Vorgehensweisen aus dem Weinbau – mit dem er aufgewachsen ist.
Johann Korec (oder „der Korec Johann“, wie er sich auf vielen seiner Werke im Text am Bild selbst nennt) war Knecht auf verschiedensten Bauernhöfen, bevor er nach Gugging kam. Er gehörte zu den ersten unter dem Psychiater Navratil (siehe unten), der offiziell ausstellen durfte. Ihm durfte Katschnig zuweilen assistieren, wie sie uns weitererzählt, als wir vor dem Bild „Karall Brigitte und der Korec Johann“ stehen. Stets saubere Künstlerfinger zu haben trotz der oft tropfenden Wasserfarben, das stand bei Korec ganz oben auf der Wichtigkeitsliste beim Malen – war diese Voraussetzung nicht gegeben, so musste der Schaffensprozess stante pede abgebrochen werden, schmunzelt Katschnig beim Erzählen. Sujets seiner Werke sind größtenteils Liebespaare, oft werden die Wunschpartnerinnen und tatsächlichen Parterinnen explizit mit Namen genann
Ausflugstipps rund um Gugging
Von Kultur allein können wir nicht leben, wir müssen auch essen und Ausflüge machen – so mein persönliches Credo. Deswegen würde ich einen Kulturausflug immer auch mit Natur und Kulinarik-Genuss verbinden. Das geht hier rund um Klosterneuburg recht gut, auch wenn es nicht meine dezidierte Ausflugs-Lieblingsgegend ist, weil: Gerne mal überlaufen am Weekend. Dennoch: In die Hagenbachklamm kann man auch mal unter der Woche und ohne Sonnenschein wandern – der Hund freut sich immer. Der Waldhof lohnt ebenso einen Abstecher wie die erwähnte Lourdes Grotte, die ich noch aus Kindertagen kenne. Im Naturpark Eichenhain wartet eine Greifvogelzuchtstation auf Besucher, der Altarm Greifenstein zum Chillen und Baden ist per Auto auch nicht weit. In Klosterneuburg selbst gibt es einen Historienpfad zum Erkunden – in jedem Fall aber immer lohnenswerte Führungen im Stift – mit verschiedensten Themen.
Wer noch mehr Kunstgenuss „anhängen“ will: Die Albertina Klosterneuburg im ehemaligen Essl Museum bietet sich hiefür an.
HINWEIS: Ich wurde im Rahmen einer Presseveranstaltung zum Besuch im Museum Gugging eingeladen. Der Artikel wurde im September 2024 aktualisiert.