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35 Jahre Festspiele Reichenau
Zum 30jährigen Jubiläum der Festspiele Reichenau im Jahr 2018 wurde von Michaela Schlögl mit „So machen wir Theater*“ ein wunderbares Kompendium herausgegeben: Darin zu schmökern lässt schwelgen „im weiten Land“ und offenbart, welche Schauspieler:innen im Sommertheater in Reichenau wie oft spielten, welche Stücke und welche Autoren am Spielplan waren. Und: Wie das „Burgtheater auf Sommerfrische“ überhaupt unter dem Loidolts einst nach Reichenau kam.
Im nunmehr zweiten Jahr der Intendanz von Maria Happel bestehen die Festspiele Reichenau bereits seit 35 Jahren (mit 2 Jahren Corona Unterbrechung) – auch kein schlechtes Jubiläum.
Ein Bericht vom ersten Premieren Weekend dieser Saison 2023.
Das Künstlerfest im Kurpark Reichenau
Auch Reichenau hat ein Fest zur Festspieleröffnung, so wie die Salzburger Festspiele ebenfalls die „ganze Stadt als Bühne“ à la Max Reinhardt im Juli mit vielen Events zelebrieren.
Zum zweiten Mal lud Happel zum nachmittäglichen „Künstlerfest“ in den Kurpark Reichenau: Vor der „Jux“ Premiere – allerdings bei offenbar stark verkürztem Programm. Robert Reinagl, Mercedes Echerer, Johanna Arrouas und Reinhardt Seminaristin Llenya-Marie Gramsz (hat schon vergangenes Jahr in Wedekinds „Frühlingserwachen“ brilliert) sowie die Frau Prinzipalin bestritten das Programm gemeinsam mit den Musikern und sehr zum Wohlgefallen der vielen Gäste. Trotz des unsicheren Wetters war das Fest (vor allem im schön gedeckten historischen Musikpavillon) gut besucht. Die lokalen Produzenten und Hotels – von SILVA zum Parkhotel Hirschwang, vom Rax-Würstl von Scharfegger´s bis zum köstlichen Daniel Moser Kaffee waren genug Standln da, um sich durchzukosten und -zutrinken.
Mit Hermann Leopoldis „Schinkenfleckerln“ hatte Robert Reinagl schnell die Sympathien auf seiner Seite, Mercedes Echerer lud bei ihrem kritischen Couplet gar zum Mit-Paschen ein. Mit französischen Chansons und Marlene Dietrich Klassikern traf man ganz genau den Geschmack des Publikums, auch den meinen! Politische Zwischentöne waren von Reinagl und Echerer zu vernehmen: Die Sache mit dem Nicht-Gendern in Niederösterreich etwa wurde im Couplet angeprangert und vom Publikum mit Klatschen dankend quittiert.
Unterwegs am Fest auch Karin Lischka (Madame Knorr im „Jux“), Andreas Lust, Julia Stemberger (in der „Kapuzinergruft“ zu sehen), Cornelia Köndgen u.a. Paulus Manker kam offenbar auf einen Sprung vom Südbahnhotel und seiner ALMA herüber und saß mit gut gelaunter Gefolgschaft und Fähnchen schwingend ebenfalls als Zuseher beim Pavillon.
Beim allerersten Künstlerfest im Jahr 2022 hatte man – bei heißem Sommerwetter – ein etwas großzügigeres Bühhnen-Programm mit mehr Künstler:innen auf die Beine gestellt: Damals waren u.a. auch Nicolaus Hagg, Paul Matic und die launige Damen-Kombination Petra Morzé und Fanny Stavjanik zu sehen und zu hören. Das diesmalig kürzere Bühnenprogramm (die Musiker von „Missing Link“ übernahmen dann) war vielleicht auch den vorangegangenen Querelen rund um die Umbesetzung der „Präsidentinnen“ geschuldet. Dennoch: Eine sehr schöne Idee, die offenbar gut angenommen wird.
Festspiele Reichenau Premiere 2023: „Einen Jux will er sich machen“
Ein paar Stunden nach dem Künstlerfest stand die erste Premiere dieser Saison auf dem Programm: „Einen Jux will er sich machen“ in der Inszenierung und unter der Regie von Robert Meyer, nicht mehr Volksopern-Direktor aber schon Josefstadt-Neuling.
Ein „klassischer“ Nestroy, der im Kartenverkauf sicher an den Publikumserfolg von „Des Teufels General“ im vergangenen Jahr heranreichen wird können. Robert Meyer als Melchior braucht nur Robert Meyer zu sein und das Publikum liegt ihm zu Füßen, gerade in dieser lohnenden Rolle. Und dass das ganze Ensemble offenbar wirklich mit Freude bei der Sache sein dürfte, tut dem Erfolg sicher keinen Abbruch.
„Das is klassisch“: Nestroys Jux
Was für eine Wohltat: Ein unverfälschter Nestroy ganz ohne Firlefanz in einer flotten Inszenierung, Lachern ab der ersten Minute, einem liebenswert agierenden Ensemble und vielen tagesaktuellen, hochpolitischen Couplets sowie jenen wunderbaren Bon Mots, die man als altgediente Theatergeherin fast auswendig mitsprechen kann:.
Genau deswegen kommt das Wiener Theaterpublikum seit 1988 hierher nach Reichenau. Und diesmal sicher auch wegen Robert Meyer, der nach 24 Jahren Reichenau-Abstinenz als Regisseur und als Hausknecht „Melchior“ (die Rolle hat er sich dazu-verhandelt) ins Reichenauer Kurtheater zurückkehrt. Natürlich mit einem feschen Auftrittsapplaus, ohne noch einen Satz gesagt oder einen Ton gesungen zu haben. Denn als Regisseur und Hausknecht in einer Person darf der Melchior hier auch ein Couplet singen. Ebenfalls ausbedungen. Wenn das nicht wirklich „klassisch“ ist?
Ich habe (leider?) die Wortmelodie von Josef Meinrad und Inge Konradi in der Burgtheater Inszenierung von Leopold Lindtberg (Verfilmung 1957) unauslöschlich im Ohr und unverrückbar im Gedächtnis. Deswegen erinnert der aufgesetzte Haarschopf von Paula Nocker als Christopherl mich persönlich in jeder Minute an jenen Konradis in der Verfilmung, auch die gewählte Tonart in der einen oder anderen Christopherl-Szene: Dennoch gelingt Paula Nocker ihr eigener Christopherl mit ein paar modernen Untertönen wunderbar spritzig (warum aber als Lehrbua im Bert Brecht-Anzug?) – einfach famos. Robert Meyer seinerseits hat jahrelang den Christopherl im Burgtheater gegeben – es passt hier also alles grandios zusammen: Der erste Erfolg der heurigen Theatersaison in Reichenau ist damit mehr als sicher. Das Ensemble spielt hervorragend zusammen und der Abend gerät mehr als kurzweilig. Solche Stücke sind immer viel zu schnell vorbei.
David Oberkogler gibt den loyalen Weinberl trocken, aber mit Herz und Hirn. Dass er noch schnell mal was erleben will, bevor er als „Associé“ dann wieder hinter der Budel verschwindet, ist verständlich. Seine Couplets bestreitet Oberkogler gekonnt: Dankenswerter Weise bekommen auch hier dabei u.a. Zahntechniker in Ibiza, Excel-Listen und Auszählungen („Bis 610 kommt man ins Schwitzen“), die NÖ-Landesregierung, explizit sogar die Hannis, Udos und Waldhäusls ordentlich ihr Fett ab. Genannte Hanni sitzt mit Entourage am Balkon (nach einem Besuch im Knappenhof), ob da auch so begeistert und spontan mitgeklatscht wurde beim jubelnden Szenenapplaus des Premierenpublikums, vermag ich nicht zu sagen.
Dass die Couplets aber im Laufe der Festspielsaison noch angepasst werden können – ja nach politischen Gegebenheiten – schließt Regisseur Meyer nicht aus. So und nicht anders soll es bei Nestroy auch sein.
Robert Reinagl (Burgtheater) darf als polternder aber sympathischer Gewürzkramer Zangler brillieren, Mercedes Echerer gibt das Fräulein Blumenblatt näselnd und schnupfend, Karin Lischka ist eine vortrefflich romantische und vor sich hin trippelnde Modistin, die ihre hochgewachsene Freundin Frau von Fischer (Maxi Blaha) nicht nur modetechnisch umsorgt.
Letztere darf – auf Stelzenschuhen? – mit ein paar komischen Einlagen und Grimassen ihre Größe in der Rolle auch noch ein wenig persiflieren. Beide haben offenbar großen Spaß an ihren Rollen: Genau so soll Sommertheater sein. Das jüngste Liebespaar, Zangler-Mündel „Das schickt sich nicht“ Marie (Alexandra Schmidt) und der ungestüme Herr von Sonders (Kaspar Simonischek) agieren, wie es sich einem jungen Paar geziemt, das auf den Tod der „reichen Tant in Brüssel“ wartet.
Das Bühnenbild von Christoph Cremer erhält verdienten Szenenapplaus: Zu überraschend drehen und kippen die Stellwände im Hintergrund und erschaffen so immer wieder neue Bühnenbilder – ganz ohne Kulissenschieberei oder Drehbühne. Ein paar Bühnenarbeiten werden (im Vorbeigehen und manchmal auch singend) vom Ensemble selbst erledigt – wirkt charmant und witzig. Aber „Zanglers Gewürze“ als Geschäftsbezeichnung, das ist etwas unglücklich gewählt – wissen wir doch, dass Zangler ein „vermischter Warenhändler“ ist, als „Gewürzkramer“ ein Lebensmittelhändler.
Unbedingte Empfehlung für einen sorgenfreien, unterhaltsamen Sommerabend in Reichenau für alle, die einer launigen Inszenierung und einer Reminiszenz an eine alte Wiener Sprachweise etwas abgewinnen können: „Sind´s dabei, Mussi Christoph?“
Fstspiele Reichenau Premiere 2023: „Tartuffe“
Während wir in der Premiere des „Jux“ sitzen, geht nebenan im Neuen Spielraum gerade die Generalprobe des „Tartuffe“ von statten, mit anschließender formloser Nachbesprechung im Kurcafé gegenüber. Das Schöne an Reichenau ist ja auch, dass man sich als Zuschauerin oft mitten im lokalen Theatergeschehen wiederfindet und schon mal mit den Schauspieler:innen ins Gespräch kommt: Ob im Kaffeehaus, im Supermarkt oder am Parkplatz, beim Radeln und auf der Fischerpromenade. Maria Happel scheint überhaupt allgegenwärtig zu sein, nicht nur als Prinzipalin, sondern auch als Gesprächspartnerin mit den „Frauenzimmern“ Emmy Werner, Caroline Peters, Stefanie Reinsperger und Sona MacDonald sowie bei „Reichenau spezial“ mit jürgen Meyerhoff. Dazu noch die unglaublichen Textmengen, die sich als Last Minute Einspringerin bei Schwabs „Die Präsidentinnen“ lernen muss: Die Frau hat keinen ruhigen Sommer, wie es aussieht.
Tartuffe
Der Auftritt des Tartuffe, dieser schmierige Heuchler, um den es in Molières Stück geht, der lässt auf sich warten. 45 Minuten vergehen, in denen die Familie und das Dienstmädchen Dorine rund um und auf einer rot gedeckten Tafel nach einem Gelage über ihn sprechen, schimpfen, lamentieren, diskutieren und jammern: Er sei ein „Gimpel“, „Frömmler“, „Heuchler“, eine „Vogelscheuche“ gar. Familienchef Orgon hingegen ist – ja was denn eigentlich? Verliebt in Tartuffe? Hörig? Das bleibt offen.
Dann endlich, ein furchteinflößender Gong unterbricht das wortreiche Wehklagen und alles erstarrt (nicht nur auf der Bühne), Auftritt Tartuffe. Darauf haben offenbar die meisten gewartet.
Stefan Jürgens darf nach seinem Erfolg als Harras im vergangenen Jahr in Zuckmayers „Des Teufels General“ heuer wieder in eine Hauptrolle schlüpfen – und das Engagement in der Josefstadt in Wien hat er auch schon in der Tasche. In welcher Rolle er in der Josefstadt debütieren wird, ist mir noch nicht bekannt: Ich tippe auf „Godot“. Den Tartuffe hat er sich aber für seine zweite Spielzeit in Reichenau quasi selbst ausgesucht. Ebenso am SpielPlan seine „Leseperformance“ gleich hier in Reichenau im August. Er ischeint neuerdings heuer der erklärte Liebling der Festspiele (neben Robert Meyer natürlich) zu sein.
Tartuffe also ist ein charmanter, selbstverliebter und larmoyanter Verführer („Mir ist er aber nicht schmierig genug“, sagt eine Dame beim Sekt in der Pause), dem Orgon (Dirk Nocker erst verblendet mit Perücke, dann entzaubert barhäuptig) so verfallen ist, dass dieser den Sohn (Skye MacDonald, auch zu sehen mit Mutter Sona in einer Matinée) verstößt, seine Frau (wunderbar stark Emese Fay) verhöhnt, seine Tochter (Laura Dittmann) fast verscherbelt und den Schwager (Michael Matula) permanent zur Sau macht. Kammerschauspielerin Elisabeth Augustin gibt die verblendete Omi, die bis zur allerletzten Sekunde in Tartuffe eine gottesfüchtigen „Ehrenmann“ sieht: Dabei ist der nur schein-heilig, hält alle rundum am Gängelband, gibt den frommen Gutmenschen und spielt die Familienmitglieder gegeneinander aus. Bedrohlich wirkt es auch, wenn er nur schweigt – oder aber genussvoll und leicht genervt sagt: „Das ist ein bisschen lästig“, wenn ihm was nicht passt.
Keiner kann ihm was entgegensetzen: Der Schwager, die arme Socke, schwurbelt um sein Leben und will retten, was zu retten ist, der Sohn schwächelt in Reden und vor allem Taten. Jürgens genießt seine Rolle ganz offenbar – wie gesagt, in Reichenau darf das sein: Dass auch die Schauspieler:innen mit ihren Rollen Spaß haben, nicht nur wir im Publikum.
Allein das Dienstmädchen Dorine (einfach genial: Stefanie Dvorak) textet in einem fort, plant und kämpft jede Minute hochtourig gegen diesen Tartuffe, der sich heuchelnd, lügend und lüstern Haus, Hof und (fast) auch die Ehefrau erschleicht – alles unter dem Deckmantel der Frömmigkeit. Sie bietet als Magd Paroli sondergleichen, kämpft wie eine Löwin mit ganzem Körpereinsatz für die Wahrheit.
Die Frauen tun sich endlich zusammen, um mit einer gewagten Intrige Tartuffe zu überführen.
Es dauert, bis Orgon seinen Fehler erkennt. Doch dann ist es fast zu spät: Tartuffe hat Haus und Hof an sich gerissen und die Familie noch dazu angezeigt. Erst in allerletzter Minute wendet sich das Blatt: Unter Kasperltheater-Musik erscheint deus ex machina Ludwig XIV, bzw. Molière selbst und sperrt Tartuffe ein, der wie Tintifax grollend in den Abgrund fährt. „Tu veux changer das Ende des Stücks?“ radebrecht Tartuffe noch vor seinem schnellen Ende.
Happy End und ein Tänzchen rund um den roten Tisch, nicht ohne die mehr als passenden Abschlussworte: „Der Mensch ist ein böses Lebewesen!“ Wie wahr.
Die Akustik im Neuen Spielraum gerät ein wenig an die Grenzen, wenn in die andere Richtung gesprochen wird – je lauter, desto schwieriger dann zu verstehen. Da das Ensemble sich permanent um die und auf der roten Tafel bewegt und fast nie zum Stillstand kommt, sind diese Situationen aber akzeptabel.
Besonders stark beim „Tartuffe“ agiert die Damen-Riege von Kammerschauspielerin Elisabeth Augustin als Orgons Mutter über Emese Fay als kluge Ehefrau bis hin zur unvergleichlich guten Burgschauspielerin Stefanie Dvorak, ein Glücksgriff für die Festspiele seit vielen, vielen Jahren. Laura Dittmann als Tochter Mariane und Johannes Deckenbach als ihr Lover sowie Matthäus Zaborszyk als Molière kommen alle vom Reinhardt Seminar und fügen sich nahtlos ins Ensemble.
Viel Applaus demnach für Dvorak und Jürgens sowie das Team rund um Regisseur Guntbert Warns, Intendant des Renaissance Theaters in Berlin. Maria Happel applaudiert, Maria Köstinger und Jürgen Maurer haben ein extra Bravo für Stefan Jürgens parat, der auch noch Blumen absahnt.
Gewöhnen muss ich mich aber bei jeder dieser Rundum-Bühnen (wie letztens bei der Sommerkomödie Rosenburg) immer wieder aufs Neue, dass man oft in Gesichter im Publikum zu schauen gezwungen ist, die offenbar deutlich weniger Spaß am Sommertheater haben als man selbst, oder aber gerade an einer unlösbaren mathematischen Aufgabe tüfteln dürften. Wie so manche derart regungslos und emotionsbefreit freiwillig im Sommertheater sitzen kann, bleibt mir unbegreiflich.
Rückblick: Festspiele Reichenau 2022
Das Künstlerfest 2022
Bei Kaiserwetter wurde im Sommer 2022 das erste Künstlerfest im Kurpark Reichenau zelebriert.
Frühlingserwachen
Vor Happels erster Intendanz war das noch nie dagewesen: Junge Schauspieler:innen vom Reinhardt Seminar mit auf die Theater-Sommerfrische zu nehmen und bei den Festspielen Reichenau „mitspielen“ zu lassen. Welches Stück wäre da geeigneter gewesen als Wedekinds „Frühlingserwachen“? Die Rechnung ging auf: Die jungen Schauspieler:innen brillierten, einige kommen 2023 – trotz der Querelen um Happels plötzlichen Abgang als Leiterin des Seminars – wieder. Andere sind bereits fix engagiert, etwa in der Josefstadt.
Das Kurtheater in Reichenau
Wie soviele Gebäude in Reichenau gehörte auch das „Reichenauer Theater- und Konzerthaus“ einst der Familie Waissnix und hatte als Industrieanlage (als „Holzschleife“) gedient. Ab 1926 wurde es zur Theaterstätte, eröffnet mit „Die Fledermaus“. Dann kam der Tonfilm und das Theater hatte ein Nachsehen. Erst in den 1970er und 1980er Jahren spielte man vorort wieder „leichte Theaterkost“, wie auf der Website zu lesen ist. 1988 endlich zogen die neu gegründeten FESTSPIELE REICHENAU dort ein, es wurde ständig renoviert und 2005 kam ein neuer, moderner Spielraum hinzu.
Zwei Mal seit 1988 musste man auf die Festspiele Reichenau verzichten: Dank Corona 2020 und 2021. Zum 20 Jahre Jubiläum gab es vom ORF NÖ 2008 einen wunderschönen Kultur Matinée Film über die Festspiele, den Reichenau-Vielspieler Peter Matic anmoderierte. Ihm ist übrigens – wie auch Alma Mahler, Johann Nestroy, Karl Kraus oder Theodor Herzl im Kurpark Reichenau ein Bankerl gewidmet. Eine nette Geste seitens Reichenau an der Rax.
Die Festspiele Reichenau im Südbahnhotel: 2000-2010
„Schade also, dass sie sich diesmal allzu sehr auf die Brüchigkeit des renovierungsbedürftigen Südbahnhotels (Bühne: Peter Loidolt) verlässt, in dem sie in epischer Breite inspirationsloses Konversationstheater macht.“ schreibt die Furche zu der Blankenship Inszenierung meines Schnitzler Lieblingsstücks „Das weite Land“ im Juli 2004 im Südbahnhotel. Gerade diese Inszenierung hatte mir damals aber besonders gut gefallen: Wandertheater war damals noch nicht gar so en vogue wie jetzt und für mich ein Novum – trotz ALMA (Uraufführung unter Paulus Manker 1996 im Sanatorium Purkersdorf). Deswegen war Theater im verfallenen Charme des Südbahnhotels damals etwas ganz Besonderes. Nicht nur für mich. Die Festspiele Reichenau hatten es gewagt und diese Stücke genau dorthin verlegt, wo sie hinpassen („Der Zauberberg“) oder sogar herkommen (wie Schnitzlers „Das weite Land“).
2000 gab man gar das als unaufführbar geltende Kraus´sche Monumentalwerk „Die letzten Tage der Menschheit“ mit Conferencier Peter Matic im Südbahnhotel und sechs Jahre später nocheinmal im Theater in Reichenau. Lange vor Manker und seinem Polydrama 2018 in der Wr. Neustädter Serbenhalle. „Der Zauberberg“ wurde hier schon dramatisiert aufgeführt, als von der aktuellen (genialen) Version an der Burg oder im Landestheater St. Pölten noch gar keine Rede war.
Ich habe im Südbahnhotel sowohl „Das weite Land“, als auch „Radetzkymarsch“ mit Michael Dangl in der Hauptrolle und „Das Konzert“ (2010) mit Petra Morzé und Stefanie Dvorak sowie Joseph Lorenz und Claudius von Stolzmann gesehen. Die Vorstellungen im Theater selbst kann ich gar nicht alle aufzählen: Mit dabei war u.a. „Im Spiel der Sommerlüfte“, „Die Schachnovelle“ oder auch „Jacobowsky und der Oberst“ im Neuen Spielraum.
Die Publikumslieblinge von Reichenau
Ja natürlich geht es hier um die Schauspieler:innen. Aber auch um die Auswahl der Stücke. Zu einer Zeit, als man im Wiener Burgtheater die österreichischen Autoren nicht mal mit der Lupe fand, wurde nach Reichenau abgewandert: Hier sah man Schnitzler, Nestroy, Werfel, Hofmannsthal und alle Lieblinge aus der Josefstadt und letztlich von der Burg, wenn sie dort Peymanns wegen vielleicht nicht mehr engagiert waren. Dazu das Ambiente zwischen Rax, Semmering, Höllental und Kreuzberg – auch die Schauspieler:innen pflegten sich hier zwischen Bahnhof, Payerbach, Edlach und Reichenau ode auch am Semmering einzuquartieren.
Das Ehepaar Loidolt hatte nach einer Nestroy Vorstellung in der Burg in den späten 1980er Jahren den Entschluss gefasst, die österreichischen Klassiker und Publikumslieblinge in ein Sommertheater zu holen. Der Rest ist Geschichte, inklusive der Zäsur in den Jahren 2020 und 2021 mit Corona Sommer und dem Vorwurf intransparenter Finanzgebahren.
Bis dahin waren sie alle hiergewesen – ein Auszug:
Manuel Rubey, Nicholas Ofczarek, Alexander Pschill, Gerti Drassl, Herbert Föttinger, Robert Meyer, Petra Morzé, Peter Matic, Otto Schenk, Helmuth Lohner, Joseph Lorenz, Wolfgang Hübsch, Michael Dangl, Martin sShwab, Bernhard Schir, Regina Fritsch, Jürgen Maurer, Erwin Steinhauer, Julia Stemberger, Nicolin Kunz, Stefanie Dvorak, Marcello de Nardo, Karlheinz Hackl, Katharina Straßer uvm.
Wer am öftesten hier auf der Bühne stand? In den ersten 30 Jahren der Festspiele Reichenau führten Joseph Lorenz, Peter Matic und Marcello de Nardo die Reihung an. (Quelle: „So machen Wir Theater“; Schlögl 2028)
Tipps rund um die Festspiele Reichenau
Das Schönste am Sommertheater? Man kann den Tag im Bad oder am Fluss, am Berg oder im Kaffeehaus verbringen.
- Ein Spaziergang zu den Villen von Reichenau
- Sommerfrische Kultur Tour Semmering und Rax: Vom Riegelhof zum Knappenhof
- Ausflug zum Semmering: Südbahnhotel und Kurhaus Semmering
- Die Villen vom Semmering
- Das Höllental: Der Wasserleitungsweg
- Die Rax lohnt bei jedem Wetter
HINWEIS: Mir wurde je eine Premierenkarte zur Verfügung gestellt. Ich komme seit den 1990er Jahren regelmäßig zum Theatersommer nach Reichenau.