Die Melodien sind unvergleichlich schön, die Location am von der Sonne aufgeladenen Neusiedler See einfach nur traumhaft, und die Besetzung fast luxuriös: My Fair Lady auf der Seebühne in Mörbisch. Wieder einmal auf wienerisch.
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Bam, Oida und Hip Hop Sounds – Das ist die My Fair Lady in Mörbisch
Teils ein etwas brachialer Wortwitz, der aber fast immer zum Schmunzeln verleitet und flotte Pointen mit nur im ersten Moment ungewohntem Wiener Zungenschlag: So spricht, zetert und „sudert“ sich Eliza Doolittle als Liza durch die „My fair lady“ Aufführung der Seebühne Mörbisch bei der Premiere 2024. An dieses „Prolo-Wienerisch“ mit vielen „Bam“, „Oida“ etc des 21. Jahrhunderts gewöhnt man sich aber nach der ersten Überraschung recht schnell, denn die Niederösterreicherin Anna Rosa Döller (geb 2002) verleiht ihrer Liza aus der Tottenham Station in London Witz und Charme.
Zwar mögen die Location London und das „moderne“ Wienerisch auf den ersten Blick nicht zusammenpassen, aber das hat es ja eigentlich noch nie wirklich und war dennoch erfolgreich in den letzen Jahrzehnten – ob in der Wiener Bronner- oder in der Berliner Fassung der Musicalproduktionen der 1960er, wer sich erinnert :-).
Auf jeden Fall inhaltlich deutlich entstaubt und bemüht im Hier und Jetzt agieren neben Döller noch Alleskönner und Zugpferd Mark Seibert als Henry Higgins, Kabarettist Herbert Steinböck als eindeutiger Publikumsliebling in der textlich dankbaren Rolle des Doolittle und Dolly Schmidinger, für die die Rolle der Queen wie die Faust aufs Auge passend hineingeschrieben wurde.
Ein paar Längen im Text übersteht man gut und gerne bei diesem engagierten Ensemble auf der riesigen Seebühne am Neusiedler See. Der 25 Meter hohe Big Ben im Background mitten im See ist auch untertags vom Seebad gut sichtbar und macht Lust auf das Musical à la „London liegt am Neusiedler See“.
Liza mit „East-Simmering“ Dialekt singt statt „Ich hätt getanzt heut nacht“ lieber „I bin so haaß auf eahm“ (kann man verschieden deuten, in dem Fall aber frischverliebt) und ihr Bsuff-Vater Doolittle poltert und tänzelt mitreißend mit „Wennst a Masl hast“ anstatt auf berlinerisch-deutsch „Mit nem kleen bisschen Glück“ oder à la Bronner „“Mit an Fingahuat voi Glück“. Nur Freddy darf – harmlos wie er ist – „Ich hätt getanzt heut nacht“ fast genau so singen, wie man es wohl vom Film kennt. Mark Seibert im schwarzen Rollkragenpulli als intellektueller „Oarsch“ wohnt in einem Sichtbetonloft mit viel Kunst und Whirlpool und darf erst präpotent und dann emotional sein, der Mann kann halt alles spielen :-).
Premiere 2024: My Fair Lady auf der Seebühne Mörbisch
Dem Ambiente der Seebühne Mörbisch kann man sich nicht so leicht entziehen, schon gar nicht an einem solch brütend heißen Sommertag wie an diesem Premierenabend. Man fährt vor, man promeniert und spaziert gen Seebühne, man posiert, fotografiert, schüttelt Hände und gibt Interviews. Es gibt aber auch so einiges zu sehen: Auf der Genussmeile gibts Kulinarik aus der Region, den Wein aus schönen Festspielgläsern (2 Euro das Stück als Erinnerung für daheim), Blumenwagerln mit CDs (u.a. die Bronner´sche Wiener Fassung des Musicals) und Programmheften in Anlehnung an Elizas Blümchenverkauf und einen großen Souvenir Shop.
Bei der Premiere hat man alle Zeit der Welt, deswegen wird zu Beginn um 20:30 von Generalintendant Alfons Haider erstmal begrüßt, gelobt, erinnert und gedankt. Gedankt an Toni Faber und Christa Kummer (beide selbstverständlich anwesend) als Connex zum Himmel für deren Zutun in Sachen „Das Wetter hält“. Begrüßt werden Mitglieder der Regierung wie Außenminister Schallenberg und Minister Pollaschek sowie der Präsident der israelitischen Kultusgemeinschaft Oskar Deutsch, weiters Gio Hahn und Susanne Riess-Hahn, Richard Lugner im Rollstuhl, Armin Assinger, Toni Polster, Barbara Karlich und diverse Landeshauptmänner, allen voran der allgegenwärtige burgenländische mit Entourage. Weiters gesichtet Nik P. und Mr. Wunderbar Harald Serafin, der vom Publikum mit extralangem Applaus bedacht wird.
Extra erwähnt und gelobt werden alle Mitwirkenden der Produktion, die man nicht oder nur teils sieht – hinter und unter der Bühne. Und erinnert wird an die Aufführung des letzten Jahres mit „Mamma Mia“, als Freddy-Darsteller Dominik Hees an Krebs erkrankt war: Heute jedoch darf er gesundet als Lizas Verehrer brillieren – neben Mark Seibert als wortverliebter Henry Higgins und Ramin Dustdar als Oberst Pickering.
Klar: Das Originalstück ist inhaltlich heute eigentlich ein no-go. Zwei ältere Herren wollen ein junges Mädchen „erziehen“ und mit teils menschenverachtenden Methoden zu etwas vermeintlich Besserem machen. Deswegen macht Regisseur Simon Eichenberger aus dem Blumenmädchen Eliza aus dem London des Jahres 1912 in Mörbisch eine rotzfreche Punk-Pipn, die sich einmal schon gar nichts sagen lässt von den vermeintlich klügeren Herr-schaften. Und zwar auf wienerisch des Jahres 2018. „Bist du deppert, Oida!“….
Verglichen mit der Wiener Fassung, die von Gerhard Bronner adaptiert wurde, ist die Liza 2018/2024 deutlich frecher, ungestümer und jünger als die der Gaby Jacoby 1969 im Theater an der Wien.
Higgins und Pickering im London 2018 wiederum ergötzen sich als Pseudo-Profis gemeinsam an dem Dialekt aus Süd-Hermagor „Wer nit krendeln kann, der kriegt kan Mann“, Doolittle wiederum geht ins Tschocherl statt ins Pub und wird als Poetry Slam Moralist berühmt und reich, sodass er heiraten muss („um zehne“). Zweitbesetzung für Higgins ist übrigens Lucius Wolter (hat auch schon als Cover für Seibert als Maxim de Winter in „Rebecca“ fungiert), für Döller Judith Jandl.
Witzige Pointen („Sanskrit für Dummies“) und aktuelle, wienerische Wortspielereien, die bekannt eingängigen Melodien – gespielt vom 50-köpfigen Orchester und eine engagierte Statisterie machen den Abend in Mörbisch auf der Seebühne zu einem Theatererlebnis, genau so wie Sommertheater sein soll: Was zum Schmunzeln, mit einer Träne im Knopfloch, mit einem mitfühlenden „ooohhh“ aus den hinteren Reihen, als Higgins Eliza beleidigt, mit gutem Wein, bei heißen Temperaturen und fast ohne Gelsen – alles dabei.
Dazu eine mitreißende Inszenierung mit vielen Lachern und einer Besetzung des Couples, wie es ursprünglich auch gedacht war: Sie 21, er um die 40 und damit mit Seibert ein ungewöhnlich „junger“ Higgins, wie man ihn aus der Verfilmung ja eher nicht kennt (siehe Exkurs).
Das tonnenschwere, von Hand bewegte Bühnenbild wechselt 30 Mal: Vom Loft des Higgins in die U-Bahn Station mit vorbeifahrender Bahn bis ins Modern Art Museum und ins Beisl, sprich Tschoch des Doolittle.
Die Tanzeinlagen sind mitreißend und gut choreografiert, die Tangoeinlage von Higgins und Pickering gekonnt….
Mit Steinböck ist auch Doolittle hervorragend besetzt – er hat die Herzen auf seiner Seite trotz oder gerade wegen seines „Getränzes“ und er hat ganz eindeutig großen Spaß an seiner Rolle.
Anna Lisa Döller hat vielen und schnellen Text, der manchmal etwas deutlicher gesungen sein könnte. Mark Seibert hingegen hat die Artikulation im kleinen Finger, da versteht man jede Silbe – wie auch damals bei Josef Meinrad oder in München bei Michael Dangl – erfahrene Schauspieler haben da halt einen kleinen Vorteil. Dafür hat Döller mit jugendlichen Charme die Herzen auf ihrer Seite, schließlich sind wir im Sommertheater und nicht auf der Burg.
Und wie geht die Story nun hier in Mörbisch aus? My Fair Lady – Fans werden wissen, dass es immer um die Schluss-Szene geht: Bringt sie die Schlapfen – ja oder nein – kommt sie und bleibt sie (ich hab schon Aufführungen gesehen, da ist sie nicht geblieben) oder geht er auf sie zu – ganz am Schluss, der Macho? Auf der Seebühne Mörbisch bei unserer Liza ist Frauen-Power angesagt, eh kloar: Sie steht am Schluss im Mittelpunkt und sie hat das Sagen.
Sehen und Gesehen werden: Mörbisch ist wie Opernball
Mein Tipp:
6200 Premierengäste bevölkern die Ränge, von der Dachterrasse hat man einen fulminanten Blick auf den Sonnenuntergang und die abendliche Hitze ist erträglich (anders als am Vortag bei der hitzegeplagten Premiere bei „Der Verschwender“ in Gutenstein).
Weil offenbar noch nicht jeder jeden begrüßt hatte unter den PolitikerInnen und Promis, dauert am Premierenabend in den ganz vorderen Reihen alles etwas länger: Es wird geküsst, fotografiert und für Selfies posiert – das braucht eben seine Zeit. Nicht nur vor der Eröffnungsrede, sondern auch in der Pause. Aber so muss Sommertheater und wenigstens hatten wir dann mehr Zeit zum Schauen. Hinter uns im Publikum wurde Marika Lichters gebrochene Zehe mehrmals thematisiert, rechts oben saßen offenbar die Fans von Anna Rosa Döller und Dolly Schmidinger bekam – so wie Steinböck – Szenenapplaus. Wer einen Operngucker dabei hatte, kam bei dem Spektakel vor der ersten Reihe jedenfalls auf seine Kosten…
Befreundete Theater- und Festivalintendanten aus dem Burgenland wurden selbstverständlich ebenfalls gesichtet: Daniel Serafin hatte seine „Aida“ Premiere im Steinbruch St. Margarethen gerade erfolgreich absolviert, Martin Weinek ist im August im „Uhudler Landestheater“ mit „Der Freyschütze“ auf Schloss Tabor beschäftigt und das Kabarettduo Flo und Wisch ist das Intendantenteam beim „größten Kabarettfestival im Burgenland“ im September (www.kabarett-am-see.at) in Oggau. Ebenfalls hier, einer der es wissen muss: Christian Struppeck als Chef der Vereinigten Bühnen fand sehr lobende Worte für die modern-wienerische Version der Lady. Hätte nur noch Burgenland-Testimonial Nicholas Ofczarek gefehlt….
Exkurs: My Fair Lady auf berlinerisch und wienerisch
„Ja, berlinerisch ist schwer – doch wienerisch noch mehr“ heißt es in dem alten Schwarz Weiß Schinken „Kaiserwalzer“ von Franz Antel aus 1953. Dennoch: Die erste deutsche Fassung von „My Fair Lady“ ging in den 1960ern in adaptiertem Berlinerisch über die Bühne und die wienerische Fassung ließ dann auch nicht mehr lange auf sich warten.
In der Originalfassung von 1956 (Musik von Frederic Loewe und Libretto von Alan J. Lerner) spielt die Handlung 1912 in London, Eliza ist 21, spricht Cockney Englisch und Professor Higgins ist ein altvaterischer, besserwisserischer Grantscherbn, mindestens doppelt bis gefühlt dreimal so alt, Typ grantiger Macho. Die Uraufführung erfolgte am New Yorker Broadway mit Julie Andrews und Rex Harrison 1956 und kam einige Zeit danach nach London ins West End Theatre. Die deutsche Fassung – und zwar im zunächst ähnlich ungewöhnlich klingenden Berlinerisch (Text. Robert Gilbert) im Deutschen Theater des Westens in Berlin ab 1961 wurde zu einem Hype: Filmliebling Paul Hubschmied gab den Higgins (übrigens auch noch ein Jahrzehnt später – wegen des irre großen Erfolgs des Musicals auch als LP), Karin Hübner sang unvergleichlich die berlinernde Eliza.
Also schon vor 65 Jahren gab es Dialekt-Varianten der My Fair Lady und das nicht von ungefähr. Bernard Shaw vermerkte in seiner Vorlage „Pygmalion“, dass die Rolle der Eliza stets im ortsüblichen Dialekt zu spielen sei. Das war so in der gefeierten Berliner-Aufführung und auch in der Wiener Textierung in den 1960ern so. Gerhard Bronner adaptierte damals den (wie ich meinen, sehr guten) Text von Gilbert für die Rollen der Eliza (Gaby Jacoby) und ihres Vaters für eine Besetzung mit einem ähnlich polternden Josef Meinrad in der Rolle des altklugen, frauenverachtenden Higgins (Premiere im Theater an der Wien 1969).
Die berühmte Verfilmung mit Audrey Hepburn und dem offenbar unverwüstlichen Rex Harrison brachte letzterem übrigens einen Oscar als bester Darsteller 1965 ein – die Verfilmung ging damals gleich mit acht (!) Oscars heim. Audrey Hepburn hat darin übrigens nicht selbst gesungen, Harrison sehr wohl.
Seitdem gab es viele Elizas in Wien, ob in der Volksoper mit Katharina Straßer und Herbert Föttinger sowie Peter Matic als Pickering oder in der Volksoper zuletzt mit Juliette Khalil in der Titelrolle. Ich war auch in München im Gärtnerplatztheater bei der Premiere der Lady mit Michael Dangl (Theater in der Josefstadt) zugange, dort spielte Nadine Zeintl mit bayrisch-oberösterreichisch-wienerischen Mischkulanz die Eliza.
Mir ganz persönlich gefällt die deutsche Berliner-Fassung mit Paul Hubschmied textlich am allerbesten, wiewohl ich eine Wiener Theatergeherin bin. Und diese Version kann ich auch seit Jahrzehnten auswendig – wer weiß, wofür es dereinst gut sein mag…
Mein persönliches Fazit der Premiere 2024:
Ich würde am liebsten gleich nochmal hinfahren. Auch wenn die so eingängigen Ohrwürmer bei manchen Songs auf die ersten Takte nicht sofort wiedererkennbar waren und ich nicht alle urwienerischen Textierungen gelungen fand: Die Aufführung hat Charme, Witz und Schwung – das Ambiente ist ohnehin „ursuper“ – und die Besetzung, wie gesagt, luxuriös.
TIPP: Camping bei der Seebühne Mörbisch
Direkt beim Hafen neben der Seebühne befinden sich die 30 Stellplätze von CamÖ Camping Mörbisch: Superpraktisch, wenn man früher am Tag anreisen und mit der Burgenland-Card inklusive ab der 1. Nacht – das ist selten, danke!) etwa noch den Tag im Seebad verbringen will. Oder anderswo, das Angebot der Burgenland Card ist riesig. Sanitaranlagen vorhande, Brötchenbestellung für das Frühstück möglich, netter Empfang in der Rezeption.
Wer ein Ticket für die Seebühne hat, darf für die Nacht der Vorstellung mit seinem Camper auch am normalen Parkplatz übernachten (siehe Website Seebühne), wenn man das Ticket gut sichtbar in die Windschutzscheibe legt.
Selbstverständlich gibt es auch reichlich schöne, pannonische und günstige Unterkünfte rund um und in Mörbisch am Neusiedler See.
Hinweis: Für die Premiere von „My Fair Lady“ wurden mir zwei Pressekarten zur Verfügung gestellt.